Selma
Elf Tage vor dem errechneten Geburtstermin wachte ich auf, begab mich auf die Toilette und entdeckte dort einen dicken Schleimpfropf. Aufgeregt lief ich zurück ins Schlafzimmer und sagte zu Johannes, in den nächsten 24 Stunden geht’s los…
Ich fühlte mich den Vormittag über gut und bewegte mich viel draußen. Haus und Hof waren voll mit Bauarbeitern. Gegen 11 Uhr hatte ich etwa alle sechs Minuten Wehen und rief zum ersten Mal Andrea an. Sie schlug vor, irgendwann am Nachmittag mal vorbei zu kommen, wenn ich wollte. Eine Stunde später kamen die Wehen deutlich intensiver und ich musste mich hinsetzen und durchschnaufen. Gegen 13 Uhr kam Johannes nach Hause. Auch ich begab mich dann doch lieber ins Haus und musste mich bei jeder Wehe, die nun in kleineren Abständen kamen, abstützen. Ich bat Johannes, die Zeit zwischen den einzelnen Wehen zu stoppen: alle zweieinhalb Minuten. Ich verspürte ein dringendes Bedürfnis, zu duschen. Währenddessen ließ Johannes mir ein Bad ein. Er rief Andrea an und bat sie, so schnell wie möglich zu kommen. Gegen halb zwei kam sie und setzte sich auf den Klodeckel, während ich mich auf den Rand der Wanne stützte und es nicht über mich brachte, ins warme Wasser zu gehen. Sie schlug vor, doch mal aufs Bett zu gehen, um nachzusehen, was der Muttermund so machte. Gesagt, getan. Andrea schaute ungläubig, als sie fertig war und sah dann noch mal nach, um sicher zu gehen. Sie sagte zu mir: kein Muttermund mehr, es geht los.
Die Wehen waren sehr intensiv. Meine Atmung war nicht so gut, ich hatte immer wieder kribbelige Finger und drohte, zu hyperventilieren. Mit Andreas Ansagen schaffte ich es, tief durchzuatmen und dabei tiefe Geräusche von mir zu geben. Irgendwann kam Susanne dazu. Ich wechselte von der Seitenlage auf dem Bett in den Vierfüßlerstand, die Arme auf Johannes abgestützt. Dann wechselte ich in die Hocke, diesmal von hinten abgestützt. Noch zweimal wechselte ich, bis wir die Position gefunden hatten, in der das Baby offenbar gut vorwärts kam. Bis es ans Pressen ging, mussten noch einige starke Wehen veratmet werden. Bereits seit der Zwischenstation auf dem Bett hatte ich das Gefühl, die Kontrolle über mich und die Situation abgegeben zu haben. Zeit hatte ich ebenfalls ausgeblendet und nahm außerdem gar nicht wahr, was für ein schönes sonniger Frühlingsnachmittag draußen war. Umso verwunderter war ich später, dass zwischen dem Verlassen der Badewanne und der Geburt nur zwei Stunden lagen. Andrea fragte mich, ob ich mitpressen wollte, was ich bejahte. Sie sagte, warte noch ein bisschen und dann gab sie den Startschuss. Diese Phase kam mir länger vor, weil alles so angespannt und gedehnt war, dass ich das Gefühl hatte, mehr geht nicht. Irgendwann kam der Kopf und nach der nächsten Wehe der Rest des kleinen Körpers.
Malin war um 15:55 mit 3400 Gramm und 51 cm geboren und gab einen ersten, erstaunten Quaklaut von sich. Ich bekam sie sofort in den Arm, um sie anzulegen. Dann wurde die Nabelschnur von Johannes durchtrennt. Erst dann wurde Malin gewogen und kurze Zeit später wurde die Plazenta geboren. Damit war die Geburt fertig und wir sehr stolz und glücklich.
Vielen Dank, liebe Andrea und Susanne, dass ihr uns mit eurer Kompetenz und eurem Gefühl für die Situation dieses wunderbare Abenteuer zu Hause ermöglicht habt!
Als ich mit meinem 2. Kind ca. in der 12. Woche schwanger war, machte ich mich auf die Suche nach einer Hebamme. Die Hebamme die mich bei meinem ersten Kind betreut hatte, hatte inzwischen aufgehört – unter anderem wegen der hohen Versicherungsbeiträge -, aber sie empfahl mir, mich an Andrea zu wenden.
Bei meinem Sohn hatten wir die Hausgeburt leider nach vorzeitigem Blasensprung ohne Wehen abbrechen müssen, nach langem Warten und Kämpfen mit eingeleiteten Wehen musste er schließlich per Kaiserschnitt geholt werden, da er sich mit seinem sehr großen Kopf als Sterngucker in meinem Becken verkantet hatte. Nach dieser Erfahrung fehlte mir der Mut erneut eine Hausgeburt zu versuchen, aber da Andrea mir beim ersten Telefonat sagte, dass sie auch Wehenbegleitung anbietet, schien das gut zu passen.
Bei unserem ersten Treffen und Gespräch reflektierte sie mir allerdings, dass sie bei mir doch einen starken Wunsch nach einer Hausgeburt wahrnimmt – womit sie wohl recht hatte. Wir vereinbarten, alles offen zu lassen und erst in der 36. Schwangerschaftswoche wieder darüber zu reden.
Nach einer schönen Schwangerschaft, in der es mir überwiegend sehr gut ging, drängte dann die Frage wieder stärker, je näher der Termin rückte. Nach dem Vorbereitungskurs bei Susanne war mir noch mal sehr bewusst geworden, was für mich gegen eine Klinikgeburt sprach, wie z. B. die Dauerüberwachung am CTG und viel wichtiger: nicht von den mir vertrauten Hebammen betreut zu werden.
Also: Wunsch Hausgeburt, mit einer großen Offenheit dafür, dass es wieder ins Krankenhaus gehen könnte und natürlich auch in dem Bewusstsein, dass ich einen 2. Kaiserschnitt haben könnte.
An einem schönen Samstag Abend etwa eine Woche vor Termin bemerkte ich dann ein leichtes Ziehen im Unterleib, kombiniert mit (wie klischeehaft) einem wahnsinnigen Putzwahn, dem ich dann auch nachkam, bis ich irgendwann sehr müde ins Bett fiel. Aber mit Schlafen war dann nichts mehr… Ich hatte schon so starke Kontraktionen (Wehen würde ich das noch nicht nennen), dass ich nicht mehr schlafen konnte, außerdem kam Durchfall dazu, der mich ständig aufs Klo rennen ließ.
Meinem Liebsten sagte ich noch nichts, da ich wollte, dass wenigstens er noch ein bisschen Ruhe haben soll. Morgens um 5 sagte ich ihm dann, dass unser Kind sich langsam auf den Weg macht.
Gegen 8:30 rief ich Andrea an, mit der Bitte um eine klare Ansage – soll ich etwas unternehmen, dass die Wehen stärker werden oder dass sie erstmal wieder aufhören? „Du gehst jetzt in die Badewanne, frühstückst und legst dich noch mal ins Bett.“ Das habe ich dann brav befolgt und bin tatsächlich noch mal in tiefen Schlaf gefallen.
Als ich aufwachte, gab es Mittagessen mit meiner WG, die Wehen waren fast verschwunden und ich erwartete, dass es erst nach Einbruch der Dunkelheit weitergeht.
Nach reichlich guter Suppe wollte ich mich dann noch mal gemütlich auf dem Küchensofa ausstrecken und verschwand dann lieber gleich in unser Schlafzimmer, da das Ziehen sich verstärkt wieder einstellte.
Mir war klar, dass es sich noch nicht um effektive Wehen handelte, also ließen wir uns Zeit damit, Andrea anzurufen. Wir dachten uns, dass auch Hebammen einen Sonntag haben sollten, passten dann aber prompt den Moment ab, als sie mit Besuch Kaffee trinken wollte. Trotzdem kam sie ca. eine Stunde später. Der Muttermund war auf drei cm geöffnet, das war schon mehr als ich zu hoffen gewagt hatte. Innerlich war ich auf eine lange Geburt eingestellt, wir vereinbarten, dass Andrea in 2 Stunden wieder vorbeikommt. Kaum war sie zur Tür raus, veränderte sich der Verlauf. Die Wehen wurden stärker und kamen nun sehr regelmäßig in kurzen Abständen. Ich konnte kaum aufstehen, da es mir dann sofort zu heftig wurde, also verbrachte ich die nächste Stunde auf allen Vieren, mein Freund hielt mir bei jeder Wehe den Kopf, das einzige was mir wirklich gut tat, da ich mich sonst nirgends anfassen lassen wollte. So arbeiteten wir drei dann vor uns hin, die Frage, ob wir ins Krankenhaus umziehen hat niemand mehr gestellt, wir hatten das klare Gefühl, dass alles gut geht und seinen natürlichen Verlauf nimmt. Eine Stunde, nachdem Andrea bei uns gewesen war, fand ich es angebracht, ihr mal Bescheid zu sagen, dass es wohl doch schneller gehen wird, damit sie sich darauf einstellen kann, ich hatte aber in dem Moment noch nicht das Gefühl, dass wir sie brauchen.
Das änderte sich allerdings schon wenige Minuten später, die Fruchtblase platzte und ich begann einen starken Pressdrang zu verspüren. Also wieder Anruf bei Andrea, zum Glück hatte sie es nicht weit… Als sie kam, fand sie uns im Zimmer unseres Sohnes vor (der längst bei einer Freundin untergebracht war), ich immer noch im Vierfüßlerstand und unter lautem Schreien in den Schiebewehen. Ich war froh, dass sie kam, da ich den einzigen unsicheren Moment in dieser Geburt hatte, da ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass der Muttermund sich so schnell geöffnet hat und ich tatsächlich schon aktiv schieben darf. Aber es war alles in Ordnung und unter Andreas aufmunternden Worten machten wir so weiter. Kurz darauf traf auch Susanne ein. Die beiden forderten mich auf, mich in die Hocke zu begeben, um dem Kind mehr Platz machen zu können. So hing ich dann in der Hocke, mein Freund hielt mich unter den Armen, es schien keine Zeit mehr, den Gebärhocker noch aus dem Auto zu holen. Um meinen Freund etwas zu entlasten, schoben sie ihm ein Kindertischchen zum Sitzen hin, auch mir wollten sie es gern noch ein bisschen bequemer machen, aber mir war längst alles egal. Dann rieten sie mir, mein wildes AAAA- Geschrei mal in ein UUUU umzuwandeln, um dabei mehr Kraft nach unten geben zu können. Ich konnte das Köpfchen schon selbst von außen fühlen, als es plötzlich krach machte und der Kindertisch zusammenbrach. Selbst das habe ich nicht wirklich zur Kenntnis genommen, nur gemerkt, dass ich anders sitze und mit der nächsten Wehe war das Köpfchen da, noch eine Wehe und die Schultern waren geboren und flutsch – lag unsere Tochter vor uns.
Ich war erstmal nur erstaunt, da es für mich so schnell gegangen war, ich konnte gar nicht glauben, dass sie jetzt schon da ist – dieser Wechsel von der kraftvollen Geburt zum Anblick dieses kleinen Wesens war unglaublich.
Im nächsten Moment gab Andrea mir meine Tochter, ich legte sie mir auf Bauch und Brust und begann wahnsinnig zu Schlottern. Also hieß es schnell ins Bett, die Kleine wurde von meinem Freund abgenabelt, vor lauter Geschlotter konnte ich nur krabbeln. Andrea machte etwas Druck, dass ich die Plazenta jetzt rauspressen soll, da meine körperliche Reaktion doch etwas heftig war und durch die Ausschabung nach dem Kaiserschnitt ein gewisses Risiko bleibt, dass die Plazenta sich nicht vollständig ablöst. Zum Glück war sie das aber, und unsere Tochter stimmte ein empörtes Geschrei an, da ihre bisherige Versorgungsquelle versiegt war, sie wollte sich auch noch nicht mit der neuen anfreunden, nach kurzem Saugen an der Brust schrie sie wieder lautstark…
Ich kam erst nach dem Genuss eines „Zauberkekses“ (ayurvedisches Energiebällchen) zur Ruhe, dann musste noch mein Dammriss genäht werden, bei dem Zusammenbrechen des Tisches war es dann doch passiert, wo Andrea ihn vorher so gut mit einem Kaffee-Waschlappen geschützt hatte.
Aber egal, der Riss war nicht schlimm und da wir über diesen Tisch noch soviel lachen konnten, war‘s das fast wert.
Es war wunderschön, danach im eigenen Bett zu liegen, mit den Hebammen noch Traubensaft und Müsliriegel zu teilen, wir waren alle etwas aufgedreht… Nachdem unsere Tochter die U1 mit 100 Punkten überstanden hatte und Ruhe einkehrte, Andrea und Susanne das Gefühl hatten uns jetzt uns selbst überlassen zu können, konnte ich endlich stillen, ohne gleich wieder Protestgeschrei damit auszulösen. Danach fiel der Rest meiner Familie in tiefen Schlaf, ich genoss die Stille und den Anblick meines Töchterchens.
Ich bin froh und dankbar, dass diese 2. Geburt so leicht war und wir tatsächlich zu Hause bleiben konnten und ich danke Andrea, dass sie uns so gut unterstützt hat, an diesen Punkt zu gelangen.
Ich war schon vorher durch intensive Aufarbeitung auf der körperlichen und seelischen Ebene ganz gut ausgesöhnt mit dem Kaiserschnitt-Erlebnis bei meinem Sohn. Aber nun kann ich noch mal ganz anders würdigen, was ich auch da „geleistet“ habe. Es gibt wahrscheinlich kaum eine Frau, die einen ungewollten Kaiserschnitt hatte und nicht von Versagensgefühlen belastet wird und der Frage, ob sie überhaupt in der Lage wäre eine „echte“ Geburt durchzustehen. Ich kann nur sagen, dass die 2. Geburt um so vieles leichter war und ich nun die Gewissheit habe, bei beiden Kindern alles gegeben zu haben.
Ich danke Andrea und Susanne dafür, dass sie mit soviel Liebe ihre Arbeit tun. Ich wünsche mir und euch, dass ihr trotz aller Widrigkeiten immer wieder die Kraft finden weiterzumachen, damit Frauen weiterhin ihre Kinder zu Hause bekommen können!