Jurek
Unser erstes Kind wurde vor knapp drei Jahren bei uns zu Hause geboren, mit einer anderen Hebamme. Eine schnelle Geburt, bei der wir die meiste Zeit ohne Hebamme waren, und die ich als sehr heftig und schmerzhaft in Erinnerung habe. Ich hatte auch während dieser Geburt keine Angst und hab auch nicht gedacht, dass ich das nicht schaffen würde. Aber nun vor der zweiten war mir doch sehr unwohl, weil ich diesmal wusste, was da auf mich zukommen kann. Daher war meine zentrale Frage, mit der ich in den Geburtsvorbereitungskurs ging: Kann ich die Geburt bzw. deren Umstände so beeinflussen, dass es leichter und nicht so mega-krass wird?
Ich hatte noch überlegt, ob es überhaupt nötig ist, nochmal einen Geburtsvorbereitungskurs mitzumachen. Und mich dann dafür entschieden, weil ich dadurch auch Susanne besser kennenlernen konnte. Es waren 7 oder 8 Termine montags abends nur mit den Frauen und ein Samstag sechs Stunden lang gemeinsam mit den Partnern. Und diese Montagabende waren so nett! Da Peter und ich sonst so beschäftigt waren, kam das Thema Schwangerschaft im Alltag viel zu kurz und da war es toll, zumindest einen Abend in der Woche zu haben, an dem ich mich ganz darauf einlassen kann, was bald wieder bei uns ansteht. Ich habe mich schon immer auf diese Abende gefreut, auch wenn ich oft erst um halb 11 zu Hause war. Kekse, Bücher, Kerzen – Susanne hat es schön hergerichtet, und in der Gruppe habe ich mich wohl gefühlt. Die meisten Dinge hatte ich schon gehört, aber diesmal konnte ich sie zum Teil besser in meine eigene Erfahrung einordnen, zum Teil hatte ich vieles wieder vergessen. Und durch die Gespräche und Fragen ging es mir zum Ende des Kurses so, dass sich meine Angst vor einer potentiell bedrohlichen Situation komplett gewandelt hatte hin zu Gespanntsein und Neugier, wie es diesmal sein würde. Mein großer Wunsch: Ein Geburtsbecken zu haben und im warmen Wasser sitzen zu können. In unserer Wohnung gibt es keine Badewanne. Da wir kein Geburtsbecken ausleihen können, kaufen wir letztlich eines.
Gut eine Woche vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin wache ich um halb vier in der Nacht auf, weil ich Wehen habe. Noch nicht sehr dolle, etwas stärkere Regelschmerzen. Es ist noch früh und weil ich nicht mehr schlafen kann, lese ich ein bisschen, was mich gut von den Wehen ablenkt.
Um 7.00 wacht der große Bruder auf. “Hallo Baby!” ist seine Morgenbegrüßung an meinen Bauch, gefolgt von einem fetten Pups-Pruster. Wir kuscheln wie sonst auch noch alle drei im großen Bett. Dann rufen wir Susanne an. Worst case: Sie ist gerade außerhalb von Göttingen bei einer anderen Geburt, die gerade begonnen hat, und es ist nicht klar, wie lange das noch dauert. Susanne sagt, ich solle im Bett bleiben und mich möglichst entspannen, sobald sie näheres wisse, würde sie wieder anrufen. So was dummes, ich wusste ja, dass es noch 2-3 andere Frauen gibt, die von Susanne betreut werden, aber dass es doch wirklich auf denselben Zeitraum fallen muss! Ob wir doch ins Krankenhaus müssen?
Nach dem Frühstück bringt Peter den Großen zur Kita und kommt dann schnell wieder. Ich liege im Bett, und er packt die Krankenhaustasche. Fertig! Für alle Fälle. Dann bereitet er alles andere vor: Das Geburtsbecken aufpumpen und im Wohnzimmer aufbauen, im Schlafzimmer den kleinen Tisch hinstellen mit lauter leckeren Sachen drauf – Trockenfrüchte, Schoki, Saft – es ist alles bereit! Das macht ein gutes Gefühl!
Um 10.00 rufe ich Susanne nochmal an – das andere Baby ist schon da, sie warten gerade auf die Plazenta. Und nein, es dauert auf keinen Fall noch 6 Stunden. Sie meldet sich, sobald sie loskann. Dann wird es ja wohl doch noch eine Hausgeburt, hurra! Ich will gern spazieren gehen, weil die Sonne so schön scheint und ich jetzt ja nicht mehr unbedingt im Bett warten muss. Darf ich!
Draußen ist es schön sonnig, aber ein eisiger Ostwind weht. Anfangs kann ich ganz normal laufen. Es ist schön, einmal so unverhofft einen gemeinsamen freien Tag zu haben. Wir sind aufgeregt und verliebt, und ich bin glücklich über diesen Tag, meinen Liebsten an meiner Seite und gespannt, was weiterkommen wird. Auf dem Rückweg klingelt das Handy und Susanne sagt, sie würde jetzt losfahren, nochmal kurz zu Hause vorbei, und dann zu uns kommen. Wir gehen zurück. Jetzt sind die Wehen schon stärker. Nun will ich auch nach Hause und in die Badewanne!
Ich habe Angst, dass es ewig dauert, bis das Becken voll wird. Es geht aber recht schnell. Und ich mache in der Zwischenzeit alles schön: Kerzen an, Musik an. Was bin ich glücklich, als ich mich in die Wanne setzen kann! Da fühle ich mich wirklich wie die “Königin”, von der Susanne im Geburtsvorbereitungskurs immer gesprochen hat. Mir ist nach dem Spaziergang so kalt, dass ich zittere, und es tut so gut, im heißen Wasser zu sitzen und langsam wieder warm zu werden. Nun kommt Susanne. Sie untersucht die Herztöne (alles super) und tastet nach meinem Muttermund. Schon weit verstrichen und schön weich, aber erst so weit geöffnet, dass gerade eben ein Finger durchpassen würde. Bei einer Wehe mache ich jetzt schon “Oooooooh!”, aber es ist alles entspannt. Susanne meint, es sähe nicht so aus, als würde ich sie gerade brauchen und sie würde jetzt nochmal fahren. Und dass wir anrufen sollten, wenn wir sie brauchen. Das ist mir recht, jetzt weiss ich ja, dass sie sofort hier sein kann, und es ist wirklich noch alles entspannt. Ich bleibe noch eine Weile im Wasser, aber dann wird es mir auch zu warm. Raus aus dem Wasser, es geht mir gut, alles ist schön. Ich ziehe um ins Bett. Die Wehen werden allmählich stärker. Um 14.25 ruft Peter Susanne an, und ich will wieder ins Wasserbecken. Um 14.40 ist Susanne da. “Wie geht es dir?” Gut, ich bin konzentriert und nicht mehr ganz da. Während der Wehen halte ich mich schon stark an den Haltegriffen fest, aber in den Pausen bin ich ganz entspannt und kann mich noch gut unterhalten. Das Wasser ist abgekühlt und damit nicht mehr zu heiß für die Geburt. Peter lässt noch mehr Wasser rein, damit das Baby unter Wasser geboren werden kann. Susanne sagt, ich könne mich ja selbst mal untersuchen. Ist alles ganz weich, und mit dem Finger kann ich das harte Köpfchen spüren. Da ist mein Baby, und das ist grad auf dem Weg zu uns! Das motiviert mich sehr. Susanne untersucht mich auch, der Muttermund ist jetzt 7 cm weit offen. Die Wehen werden stärker, ich will lauter werden und jedes Mal laut “Aaaaaaaaah!” schreien. “Uuuuuuuuh!” macht Susanne vor. Das ist tatsächlich besser als Schreien, statt mich in die Schmerzen hineinzusteigern bringt es mich wieder runter und mehr zu mir. “Das machst du super!” sagt Susanne, und das motiviert mich wieder. Es ist nicht leicht, rechtzeitig auf die Wehe aufzuspringen, ich mache erst dann “Uuuuuh!”, wenn die Wehe schon da ist. Aber in der Wehe gelingt es mir super, ich atme so lange auf dem Uuuu aus, dass ich die Wehe richtig damit herausdrücken kann. Das fühlt sich gut an, nicht ich bin der Wehe ausgeliefert, sondern ich schiebe die Wehe raus, noch weiter, weg mit dir! Das ist lustig, ich muss lachen.
Das Sitzen wird langsam unangenehm, es drückt schon stärker auf den Beckenboden. Nebenbei wie durch einen Nebel bekomme ich mit, dass Susanne bei Andrea anruft und sagt, wenn sie bei der Geburt dabeisein wolle, müsse sie schnell kommen. Hah, dann dauert es ja gar nicht mehr lange! Ich probiere eine neue Haltung aus: In der tiefen Hocke und Peter hält mich an den Händen, wie wir das im Kurs geübt haben. Die Haltung ist angenehm, weil ich in der Hocke gut entspannen kann. Aber zwischen den Wehen sitze ich doch und es ist schwierig, beim Anflug einer neuen Wehe rechtzeitig aus dem Wasser hoch und in die Hocke zu kommen. Peter soll mich stärker mit rausziehen und dann aber sofort genug nachlassen, damit ich mich in seine Arme hängen lassen kann. Ich fühl mich überfordert, ihm unter den Wehen zu erklären, wie er es besser machen kann, und bin verzweifelt, weil es so unangenehm ist, wenn mich die Wehe überrollt und ich grad noch mit Aufstehen beschäftigt bin. In einer kurzen Wehenpause gebe ich ihm abgehackt Anweisungen und hoffe, dass er mich versteht. Ich liege mit den Armen auf dem Rand des Geburtsbeckens und schluchze ein bisschen. Das war der Tiefpunkt der ganzen Geburt – diese drei bis vier Wehen, in denen ich nicht schnell genug aus dem Wasser kam. Wir wurden besser eingespielt, aber Susanne schlug dann auch vor, nochmal eine andere Stellung auszuprobieren: Im Knien, mit den Armen auf dem Beckenrand. Das ist erstaunlich angenehm. Während der Wehe drückt mich Peter ganz fest auf mein unteres Becken. Fester! sage ich, Nein, nicht da unten!!! Was bin ich froh, dass Susanne übersetzen kann: Nur mit dem Ballen drücken, nicht mit den Fingern auf das Steißbein, das ist unangenehm. Später sagt Peter, er habe mit aller Kraft gedrückt, so fest er konnte. Ich habe es gerade mal als angenehm empfunden. Es ist jetzt total anstrengend, und ein bis zwei Wehen lang schimpfe ich, ich mag nicht mehr! Aber ohne die Verzweiflung und Erschöpfung, die ich von der ersten Geburt her kannte. In den Wehenpausen liege ich mit dem Oberkörper auf dem Beckenrand und ruhe mich aus, bin total entspannt, fast schlafe ich kurz ein. Ich bekomme fast nicht mit, dass Andrea klingelt. Susanne und sie sind grad in der Küche, als ich merke, wie der Kopf vom Baby – plopp! – ins Becken rutscht. Schnell, Susanne, es kommt jetzt! rufe ich laut. Jetzt wird es nochmal heftig, ich merke richtig, wie sich der Kopf tiefer und tiefer durchs Becken schiebt und alles zur Seite drückt, was da im Weg ist. Das Gefühl ist schwer zu beschreiben: Schmerzen, unangenehm, kaum auszuhalten, aber gleichzeitig eine unglaubliche Intensität und Kraft. Jetzt ist es nicht mehr aufzuhalten, es schiebt sich immer weiter. Ich knie am Beckenrand, mit einem Fuß aufgestellt, habe die Augen die ganze Zeit zu. Susanne sagt, ich könne mich jetzt von dem Baby im Bauch und der Schwangerschaft verabschieden, denn jetzt kommt das Baby. Das bringt mich nochmal mehr zu mir selbst, lässt mich den Moment intensiver erleben und verbindet mich mit dem Baby. Dann sagt sie, sie könne die Fruchtblase sehen, sie ist noch zu, und daher sei der Druck nochmal größer. Ich könne sie fühlen. Obwohl ich so weggetreten und involviert bin, schaffe ich es, kurz hinzufassen. Ja, krass, eine feste Blase zwischen meinen Beinen, und erstaunlich groß! Peter hat es sehr beruhigt, dass ich Susannes Aufforderung nachgekommen bin, und hat es als Zeichen gesehen, dass es mir gut geht. Weiter gegen diesen Druck pressen… und plötzlich ist der Kopf draußen! Huh, das ist unglaublich, ich fasse dorthin und da ist schon der Kopf vom Baby, ich streichle den Kopf, und es hat ganz viele Haare! Die ganze Wehenpause lang streichele ich mit geschlossenen Augen meinem Baby den Kopf. Da bist du ja, gleich kommst du raus… ein wunderschönes Gefühl! Und mit der nächsten Wehe geht es flutsch! und das Baby kommt mir in die Hand entgegen. Ich soll es noch unter Wasser halten, Susanne enttüddelt noch die Nabelschnur, die sich irgendwo drumgewickelt hatte. Und dann taucht das Baby auf. Ich soll es mit dem Gesicht nach unten auf den Unterarm legen, damit es sich nicht verschluckt. Das Baby ist blau und atmet noch nicht, aber diesmal erschreckt mich das nicht mehr. Susanne legt ihm gleich ein Handtuch über um es warm zu halten. Jetzt schreit das Baby zweimal kurz, und liegt dann ganz ruhig in meinem Arm. Ich will ein Foto!! und erstaunlicherweise hat Peter auch sofort die Kamera zur Hand. Dann soll ich raus aus dem Wasser und ich steige raus und gehe ins Bett direkt daneben. Das Baby kommt auf dem Bauch und gleich die Decke drüber. Da bist du ja, Baby! Ich kann an der Nabelschnur an der Babyseite fühlen, wie stark die noch pulsiert. Ja, da ist noch ein ordentlicher Puls drin. Baby Jurek hat so dichte braune Haare! Und ganz faltige Hände und Füße, als wenn die Haut drei Nummern zu groß wäre. Er sucht schon nach der Brust, und ich lege ihn an. Ein bisschen fängt er an zu nuckeln. Dann hat die Nabelschnur aufgehört zu pulsieren, Susanne klemmt sie ab und Peter schneidet sie durch. Peter und ich sind schon froh und entspannt, aber Susanne und Andrea sind noch angespannt und warten. Ich knie mich über die Schüssel und dann macht es Platsch! und die Plazenta ist da. Jetzt ziehen wir ins große Bett im Schlafzimmer um und kuscheln uns alle drei unter die Decken. Peter kriegt Jurek auf den Arm, und ich sehe mir mit Susanne die Plazenta an. Immer wieder ein erstaunliches Organ! Und sie ist vollständig. Jetzt gratulieren uns Susanne und Andrea, die Geburt ist zu Ende! Um 15.25 Uhr ist Jurek geboren, nach genau 12 Stunden.
Nach meiner ersten Geburt habe ich gedacht “nie wieder!”, nach dieser zweiten denke ich “das war gar nicht schlimm, das könnte ich gut nochmal machen!”
Es war wirklich eine schöne Geburt, und eigentlich ist alles so gelaufen, wie ich es mir nur gewünscht habe. Ich habe die Geburt selbst bewusster erlebt, und das selbst Ertasten und Hinfühlen gehört jetzt zu den intensivsten Erinnerungen. Ich war nicht so überrumpelt von allem, sondern viel besser in Kontakt mit mir selbst, und auch mit dem Baby. Wie bei meiner ersten Geburt auch waren wir die meiste Zeit ohne Hebamme, aber diesmal war es für Peter und mich völlig okay so. Susanne hat uns mit ihrer ruhigen, klaren und herzlichen Art viel Ruhe und Sicherheit gegeben. Aus meiner Perspektive hat Susanne nicht wirklich viel “gemacht”, aber allein sie da zu wissen und die vielen kleinen Vorschläge und Hinweise in genau dem richtigen Moment haben alles leichter und schöner gemacht und mir dabei geholfen, mich immer wieder zu motivieren und in Kontakt zu mir und dem Baby zu bringen.
Es war eine schöne Geburt! Es war anstrengend, ja, aber kein Vergleich mit den krassen Schmerzen der ersten Geburt. Mir fällt immer nur das Wort “entspannt” ein, wenn ich an die Geburt denke. Ich bin sehr glücklich und dankbar für diese zweite Erfahrung!
Herzlichen Dank dir, liebe Susanne, dass du mich so großartig unterstützt und begleitet hast!